Mittwoch, 1. Juli 2009

EM 1989: Teil 5

01.07.2009 09:00 Frauen-Nationalmannschaft DFB.DE SPEZIAL

"Das Ende der Fahnenstange war noch nicht erreicht"

Ratzeburg: Frau der ersten Stunde  © Bongarts/GettyImages
Ratzeburg: Frau der ersten Stunde

Wohl niemand kennt den deutschen Frauenfußball besser als Hannelore Ratzeburg. Die DFB-Vizepräsidentin hat die Entwicklung nicht nur begleitet, sondern maßgeblich gestaltet. Schon bei der EM 1989 war sie die treibende Kraft.

Wie Hannelore Ratzeburg das Turnier, den ersten Titelgewinn erlebt hat und welche Bedeutung sie ihm beimisst, schildert sie im Interview mit DFB-Redakteur Niels Barnhofer, dem fünften Teil der DFB.de-Serie "20 Jahre Frauen-EM-Titel".

Frage: Wie kam es, dass der DFB die EM-Endrunde 1989 ausrichtete?

Hannelore Ratzeburg: Das fing eigentlich alles ganz sachte an. Wir standen vor der Situation, dass wir uns erstmals für die Endrunde qualifiziert hatten. Einer der vier teilnehmenden Verbände sollte das Turnier ausrichten. Zur Vorbereitung blieb zwar wenig Zeit, aber ich hatte mir gedacht: Es wäre doch toll, wenn wir das machen könnten.

Frage: Wen mussten Sie dann von der Idee überzeugen?

Hannelore Ratzeburg: Ich hatte daraufhin bei DFB-Präsident Hermann Neuberger angerufen, um ihn von der Idee zu überzeugen. Und das war auch gar nicht so schwer. Die Europameisterschaft der Männer, die wir 1988 ausgerichtet hatten, war ja noch in guter Erinnerung. Von daher waren wir ja noch gut in Schwung. Also, das ging alles ratzfatz. Wir haben uns ziemlich zügig bei der UEFA gemeldet und auch schnell den Zuschlag bekommen.

Frage: Das klingt nach einer unvoreingenommenen Herangehensweise. Hatten Sie nie den Aufwand gescheut?

Hannelore Ratzeburg: Das stimmt schon, dass ich das anfangs nicht so überschaut hatte, wie viel Arbeit dahinterstecken würde. Ich dachte, dass das vom Organisatorischen her nicht so viel sein würde. Wir hatten ja nur vier Spiele, zwei Halbfinals in Siegen und Lüdenscheid, das Spiel um den dritten Platz und das Endspiel in Osnabrück.

Frage: Wann hatten Sie denn das erste Mal das Gefühl, dass es doch ein wenig mehr Arbeit ist?

Hannelore Ratzeburg: Naja, wir hatten schon recht schnell gemerkt, dass das keine „normalen“ Spiele werden würden. Ich war auch in bestimmter Weise aufgeregt, schließlich war das ja das erste Turnier, das wir ausrichteten. Während der EM sollte zum ersten Mal ein Frauenländerspiel live im Fernsehen übertragen werden. So kam zum letzten Vorbereitungsspiel gegen Dänemark in Delmenhorst Sabine Töpperwien, um sich für die Live-Übertragung des Halbfinals gegen Italien zu informieren und die Spielerinnen kennen zu lernen. So etwas kannten wir damals noch nicht.

Frage: Was war sonst noch anders?

Hannelore Ratzeburg: Im Siegener Leimbachstadion wurden die Traversen gereinigt, die Duschen erneuert, die Zäune lackiert, und und und. Da wurde an allen Ecken und Enden gearbeitet, gemacht und getan. Aber bei allem, was unternommen wurde, hatte ich immer das Gefühl, es wird schon klappen. Ich trage immer genug Optimismus in mir.

Frage: Und was kam dann?

Hannelore Ratzeburg: Dann kam das Halbfinale. Ein Spiel, bei dem ich dachte, ich beiße gleich in den Blumenkasten. Der Spielverlauf war so aufregend. Und ich habe mir das von der ersten Reihe der Sitztribüne aus ansehen. Ich saß direkt hinter einem etwas groß geratenen Blumenkasten, der mir ein wenig die Sicht aufs Spielfeld nahm. Deswegen musste ich permanent aufspringen – sehr zum Ärgernis der Leute, die hinter mir saßen. Aber irgendwann war mir das auch egal. Bei diesem Spiel konnte man einfach nicht ruhig sitzen bleiben.

So sahen Siegerinnen aus: die erfolgreichen DFB-Frauen 1989  © Bongarts/GettyImages
So sahen Siegerinnen aus: die erfolgreichen DFB-Frauen 1989

Frage: Letztlich gewann das deutsche Team nach Elfmeterschießen. Wie sahen die Reaktionen aus, die Sie unmittelbar danach erhielten?

Hannelore Ratzeburg: Das war eine ganz euphorische Stimmung, nicht nur bei mir flossen die Tränen der Erleichterung. Die Mannschaft blieb nach Spielschluss noch ziemlich lange auf dem Platz und die Fans feierten ausgelassen mit uns. Anschließend sind wir mit dem kompletten Team nach Lüdenscheid gefahren, um uns dort das zweite Halbfinale zwischen Norwegen und Schweden anzuschauen. Überall, wo wir vorbei gefahren sind, hingen Deutschland-Fahnen aus den Fenstern oder es standen Leute am Fahrbahnrand und haben uns zugewinkt und geklatscht wie verrückt.

Frage: Haben Sie sich gefragt, woher das kam – schließlich konnten alle diese Menschen ja nicht im Stadion gewesen sein?

Hannelore Ratzeburg: Ja, natürlich, das klärte sich, als wir von der Einschaltquote des Fernsehens hörten. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir 5,5 Millionen Zuschauer in der Spitze. Da die ARD ja auf Sendung blieb, als es in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen ging, haben sicherlich einige Leute eingeschaltet, weil sie die Nachrichten sehen wollten oder was immer zu diesem Zeitpunkt hätte laufen sollen, und die sind dann aber bei unserem Spiel hängen geblieben, weil es so gut, spannend und an Dramatik kaum zu überbieten war.

Frage: Die Stimmung hat sich dann sogar noch gesteigert.

Hannelore Ratzeburg: Genau. Ursprünglich hatten wir ein wenig Sorge, ob wir genügend Karten für das Endspiel verkaufen könnten. Wir wollten ja eine ordentliche Kulisse dort haben. Dann hörten wir aber aus Osnabrück, dass die dortige Vorverkaufsstelle überlaufen war. Die Mitarbeiter kamen gar nicht mit dem Kartenverkauf nach. Kurzum: Es brummte. Und weil die Zeit knapp war, habe ich mich mit ins Büro gesetzt und habe Ticketbestellungen angenommen und beim Versand geholfen. Wir mussten das damals ziemlich unkonventionell handhaben, wir haben einfach die Karten mit den Rechnungen verschickt.

Frage: Wie war das Finale selbst?

Hannelore Ratzeburg: Sensationell. Ich werde diese Atmosphäre mein Leben lang nicht vergessen. Das Stadion war rappelvoll und vor den Toren standen noch viele Fans. Unsere Spielerinnen haben sich von dieser Stimmung tragen lassen.

Frage: Hatten Sie damals das Gefühl, dass das der Durchbruch war?

Hannelore Ratzeburg: Natürlich war das alles erst einmal klasse. Die Presse war voll mit Berichten über uns. Selbst die Redaktionen, die skeptisch waren, hatten Aufmacher-Geschichten über uns geschrieben. Der Frauenfußball hatte mit dem Gewinn der Europameisterschaft 1989 plötzlich Kreise gezogen. Letztlich war es jedoch nur das erste Aufflammen. Vier Tage waren wir ganz oben, dann aber schon wieder weg vom Fenster. Dann fing die Tour de France an und die Berichterstattung fokussiert auf diese Veranstaltung.

Frage: Dennoch sprechen viele von einer Initialzündung für den deutschen Frauenfußball. Sie auch?

Hannelore Ratzeburg: Ja, die EM 1989 war ein Schlüsselerlebnis in der Entwicklung des deutschen Frauenfußballs. Wir wussten ja vorher nicht, wo es hingeht. Vor dem Turnier kamen ja mehr Kritiker als Befürworter zu Wort. Jetzt hatte man das Gefühl, wir kommen auf die Bahn. Es war zum Beispiel eine weitere Motivation für viele Mädchen, die Fußball spielen wollten, aber vielleicht durch Ressentiments anderer davon abgehalten wurden.

Frage: Was musste noch kommen?

Hannelore Ratzeburg: Zunächst waren wir auch unsicher, wie man diesen Erfolg von 1989 einschätzen sollte. Aber wir konnten ja gleich nachlegen. Wir sind ja 1991 gleich wieder Europameister geworden. Das konnte niemand erwarten. Dazu kam, dass wir 1989 nicht wussten, wie sich der internationale Frauenfußball entwickeln würde. Wir wussten nicht, ob es eine Weltmeisterschaft für Frauen gibt oder ob Frauenfußball olympisch wird. Das kam dann alles erst – und damit neue Plattformen. Damit wurden wir zum Beispiel wieder attraktiver für das Fernsehen. Mittlerweile haben wir mit der ARD und ZDF zwei hervorragende Partner bei unseren Spielen. Und natürlich hat sich der Sport selbst in allen Bereichen sehr positiv entwickelt, von der Technik bis zur Athletik.

Frage: Ziehen Sie bitte einmal einen Vergleich von damals zu heute?

Hannelore Ratzeburg: Ich glaube, da reicht ein Blick auf die Turniere. Die EM-Endrunde 1989 ist nicht mit der EURO 2009 zu vergleichen. Heute läuft alles ungleich professioneller. Die Finnen arbeiten schon seit Monaten intensiv auf das Turnier hin. Erstmals werden zwölf Mannschaften an der Endrunde teilnehmen. Die Vermarktung ist enorm. Das öffentliche Interesse ebenfalls, es begleiten uns Journalisten aus Deutschland zu den Turnieren in der ganzen Welt. Die Spiele werden in zahlreichen Ländern live übertragen. Das hat sich alles sehr positiv entwickelt.

Frage: Was wird denn noch kommen?

Hannelore Ratzeburg:: Oja, wie gerne würde ich das voraussagen können. Aber im Frauenfußball ist das ja so, dass viele Nationen auf den DFB schauen. Wir erhalten zahlreiche Anfragen von anderen Nationalverbänden, die wissen wollen, wie wir das hinkriegen, so erfolgreich zu sein. Ich glaube, wichtige Faktoren dabei sind, kompetente Personen an Schlüsselpositionen zu haben, diesen großes Vertrauen zu schenken und sie in Ruhe arbeiten zu lassen.

Frage: Das heißt, die Fans des Frauenfußballs können sich auf eine tolle WM 2011 freuen?

Hannelore Ratzeburg: Die WM 2011 ist eine riesige Herausforderung für uns. Es wird schon in allen Bereichen gepowert. Man traut uns zu, eine gute WM auszurichten und dieser Erwartung wollen wir natürlich gerecht werden. Mit Dr. Zwanziger haben wir auch einen Präsidenten, der den Frauen- und Mädchenfußball optimal unterstützt. Und ich denke, es wird uns gelingen, mit der WM weiter ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu kommen. Wir wollen, dass die Zahl der aktiven Mädchen- und Frauen-Mannschaften weiter steigt und die Vereine und Verbände von der WM profitieren. Ich bin überzeugt, dass wir das erreichen können, weil wir das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht haben.

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